Lebenszeit in Zeiten des Work-Life-Blending.
Spätestens seit den Auswirkungen der Pandemie und den damit entstandenen neuen Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung wissen wir, dass die altbekannte Work-Life-Balance ausgedient hat. Hierbei haben zwei neue Begriffe die Führung übernommen: Work-Life-Blending und Work-Life-Integration. Es geht also um das Vereinen der beiden Bereiche Arbeit und Freizeit, was jedoch nicht automatisch heissen soll, dass beide Bereiche gleich gewichtet sind.
Nicht nur wird vermehrt und branchenübergreifend fluid gearbeitet; also jederzeit und von überall – die Digitalisierung macht es möglich –, zunehmend werden auch innovative Arbeits(zeit)modelle ausprobiert, von der vier-Tage-Woche bis zur Workation (eine Kombination aus Arbeit und Urlaub).
Was den einen paradiesisch erscheint, ist für andere eine wild blinkende Warnlampe. Unabdingbar wird bei dieser neuen Arbeitszeitgestaltung eine klar abgesteckte Ruhezeit oder Abschaltzeit. Work-Life-Blending heisst eben explizit nicht 24/7 erreichbar und auf Empfang zu sein! Erholung wird durch die Verschmelzung dieser Lebenszeitbereiche nicht weniger wichtig. Im Gegenteil; wo eine klare Zeiteinteilung zur Verfügbarkeit fehlt, ist es umso wichtiger die Ruhe-Inseln einzubauen und zu nutzen.
Das Zukunftsinstitut hat dazu in seinem Artikel einige Beispiele genannt und nimmt folgenden Standpunkt ein:
«Die Beispiele verdeutlichen, dass die Ära des Work-Life-Blendings Unternehmen vor neue Herausforderungen stellt. Insbesondere gilt es, den Balanceakt zwischen flexiblen Arbeitszeiten und gesicherten Ruhezeiten für die Mitarbeiter zu bewältigen. Erst wenn das gelingt, können die Potenziale der Work-Life-Verschmelzung wirklich ausgeschöpft werden.»
Das Zauberwort heisst hier Abgrenzung. Wie in vielen anderen Bereichen des Berufs- und Privatlebens ist gut beraten, wer seine persönlichen Grenzen kennt und für diese einsteht. Es wäre wenig zielführend, in einem offenen Work-Life-Blending Umfeld die gleichen Ruhezeiten für alle vorzuschreiben; vielmehr braucht es hier Eigenverantwortung und achtsam in Verbindung sein mit den eigenen Ressourcen.
Nun ist das nicht für alle gleich einfach umsetzbar. Wer sich bis anhin wenig mit seinen eigenen Grenzen auseinandergesetzt hat und sich schwer damit tut, «Nein» zu sagen um diese zu wahren, wird kaum ein erfüllendes Work-Life-Blending erfahren. Es ist vielmehr zu befürchten, dass sich die Gewichtung ungünstig in Richtung «Work» verschiebt, zu Ungunsten des «Life».
Da es sich hier um ein relativ neues Modell handelt, gibt es nur begrenzt Erfahrungswerte, die Leadership-seitig dafür zu Rate gezogen werden könnten. Die Führungspersonen sind gefordert, nicht nur die eigene Balance, pardon, das eigene Blending, zu managen, sondern auch diejenigen im Team im Auge zu behalten, die sich mit der (neuen) Eigenverantwortung schwer tun.
Was passiert jedoch, falls sich jemand nicht mit dem Blending anfreunden mag? Für diejenigen, welche lieber in den vorgegebenen und abgegrenzten Strukturen bleiben wollen und die Bereiche Work und Life weiterhin sauber getrennt haben möchten? Es wäre vermessen, diese Personen als nicht zeitgemäss zu bezeichnen. Das machen wir ja mit unseren Senioren auch nicht, die, infolge Digitalisierung, stetig und beständig aus der Eigenständigkeit gedrückt werden, oder?
Wie so oft wird beim «neumodischen» Work-Life-Blending ein tolerantes und nachsichtiges Sowohl-als -auch und Zeit die gewünschten Erfolge bringen. Bis dahin sind wir alle gefordert, uns eingehend mit unseren eigenen Grenzen auseinanderzusetzen. So wird es uns denn auch gelingen, unsere Lebenszeit und die enthaltenen Anteile von Work und Life so zu gestalten, wie es für uns, und damit meine ich das Individuum im entsprechenden Lebensabschnitt, sinnvoll und zielführend ist.